Sabina Auckenthaler, Der Standard, 30.10.2006

Zwei österreichische Genies, Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig Wittgenstein, waren Thema eines Symposions der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. "The Making of ... Genie" beschäftigte sich aber auch mit deren Vermarktung. Wolfgang Amadeus Mozart und Ludwig Wittgenstein: Das musikalische "Wunderkind" aus Salzburg wird als außergewöhnlicher Kindskopf beschrieben, dem Luxus und der Verschwendung nicht abgeneigt. Wittgenstein hingegen gilt als weit gehend humorfrei und wird häufig mit Attributen wie "tiefer Ernst" oder "Asket" bedacht. Gemeinsam ist den berühmten Österreichern, dass beide schon zu Lebzeiten als Genies galten und bis heute als solche gefeiert werden. Diese Verbindung nahm vergangenes Wochenende die Kommission für Kultur- und Theaterwissenschaften der Österreichischen Akademie der Wissenschaften zum Anlass für die Tagung "The Making of ... Genie". Österreichische und deutsche Wissenschafter beschäftigten sich mit Fragen rund um die Biografien der beiden "großen" Männer und den Voraussetzungen bzw. der Vermarktung von "Genies".

Bei der Genese des Genies spielen Legenden eine wesentliche Rolle. Der Musikwissenschafter Manfred Permoser beleuchtete die Mystifizierung rund um Mozarts Tod, die nicht zuletzt von seiner Frau Constanze forciert wurde. Die Witwe verbreitete das Gerücht, der Musiker habe die Totenmesse für sich selbst geschrieben. Zudem lancierte sie geschickt den Verdacht, Mozart wäre vergiftet worden. Und auch wenn es bereits im frühen 19. Jahrhundert als wissenschaftlich gesichert galt, dass Mozart ohne Einwirkung von außen verstorben war, geisterten diverse Vergiftungsthesen lange durch Biografien und Presse und wurden von Belletristik und Filmwelt weitergesponnen. Dem Geniestatus Mozarts - auch über sein Wirken als Musiker hinaus - war das nur zuträglich, so Permoser.Deutlich wurde bei der Tagung auch, dass Mozarts Genialität in der hiesigen Wissenschaftsgemeinde nicht ohne Weiteres antastbar ist: als der Deutsche Werner Janssen, Philosoph und Intendant des Kultur- und Wissenschaftsfestivals "Euriade", in seinem Vortrag äußerte, er könne in Mozarts Briefen "absolut nichts Intellektuelles" finden, provozierte er damit starken Widerspruch. Janssen sieht die Briefe als Beleg, dass Mozart auch im Erwachsenenalter die Diskrepanz zwischen dem genialen Musiker und dem gehorsamen, einsamen Kind nie überwunden hat.Auch für den Geniestatus von Wittgenstein haben Legenden eine Rolle gespielt, wie Klaus Puhl von der Österreichischen Wittgensteingesellschaft ausführte. So seien eine Zeit lang Gerüchte kursiert, der Philosoph habe in Cambridge Vorlesungen auf dem Rücken liegend gehalten und er habe als Ziegenhirte in der Türkei gearbeitet. Wittgensteins Homosexualität wiederum bot der Nachwelt, ähnlich wie Mozarts Vorliebe für Fäkalausdrücke in seinen Briefen an seine Cousine, Stoff für zahlreiche Spekulationen. Gegen eine Verwendung des Namens des großen Denkers für die Elite-Universität, wie es eine Zeit lang im Gespräch war, hätte der Philosoph Puhl nichts einzuwenden gehabt.

Ganz anders sah dies der Innsbrucker Linguist Werner Zillig. Er kritisierte die Wissenschaftsvermarktung mithilfe des Namens Wittgensteins, sei es durch die Namensgebung einer Elite-Uni oder den vom FWF vergebenen Wittgenstein-Preis. Der mittlerweile so berühmte Name Wittgensteins werde hier einfach nur als modisches Label missbraucht. Kritik übte Zillig auch an der "Zersplitterung des Nachlasses von Wittgenstein" in sich zum Teil feindselig gegenüberstehenden Institutionen. Diese "Eifersüchteleien" seien der Qualität der Wittgenstein-Forschung abträglich.Abgesehen von diesen Einblicken in die Wissenschaftsgemeinde(n) bot die Tagung die Gelegenheit, Wittgenstein als Architekt kennen zu lernen. Das Haus Wittgenstein im dritten Wiener Bezirk, in dem die Tagung stattfand, war unter erheblicher planerischer Einflussnahme des Philosophen für seine Schwester erbaut worden. In den 70er-Jahren entging das Haus nur knapp einem Abbruch, "weil damals in Österreich kaum jemand Wittgenstein kannte," erläuterte Bernhard Leitner, Professor für Angewandte Kunst in Wien. Seinem Einsatz ist es auch maßgeblich zu verdanken, dass das Haus dann doch nicht abgerissen wurde.